The Libertines waren Anfang der 00er Jahre eine der aufregendsten britischen Bands des ausglühenden Britpop-Universums. Vielleicht waren sie sogar die letzte der aufregendsten Gitarrenbands jener Zeit. Peter "Pete" Doherty und Carl Barat, die beiden Köpfe der Band, liebten und hassten einander. Hat hier jemand Lennon vs. McCartney gesagt? Oder, naheliegender: Noel vs. Liam Gallagher? Hätte Ende 2004 jedenfalls jemand prophezeit, dass dieser Band eine Zukunft jenseits von nostalgischen Reunion-Gigs oder Jukebox-Auftritten beschieden sein würde – wer hätte nicht gelacht? Man braucht die frühen Eskapaden Pete Dohertys hier nicht noch mal auszubreiten, sagen wir einfach, es war alles bisschen schwierig.
Nun aber erschienen nach Dohertys Babyshamble-Years in den letzten Jahren sensationeller Weise tatsächlich zwei neue Libertines-Alben, das 2015 veröffentlichte "Anthems For The Doomed Youth", und, ganz frisch letzten März, "All Quiet On The Eastern Esplanade". Lag jenem noch spürbar die Absicht zugrunde, an alte Zeiten anzuschließen, wirkt dieses nun tatsächlich oft wie ein bewusster Bruch mit der Vergangenheit. So entfaltet etwa Dohertys Post-Brexit-Reflexion „Merry Old England“ einen melancholischen Zauber zwischen jauchzenden Chören und wogenden Streichern, „Man With The Melody“, geschrieben von Bassist John Hassalls, gehört zum Elegischsten was sie je gemacht haben, während der schwer verkaterte Swing-along „Baron’s Claw“ Richtung jazzy Roaring Twenties abbiegt. Dinge, die ihnen ungemein gut zu Gesicht stehen. Dennoch, keine Sorge, es gibt auch in der aktuellsten Inkarnation der Libertines genug Stücke, mit denen man sich in goldene Indierock-Zeiten (Hallo Bitter End!) zurücktanzen kann. Und live ja ohnehin ein Feuerwerk aus neuen Liedern und den größten Libertines-Hits aller Zeiten.
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