Auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung suchen Millionen Menschen Zuflucht in Europa. Die Abschottung der EU-Staaten hat das Mittelmeer zum gefährlichsten Grenzübergang der Welt werden lassen. Nur die zivile Seenotrettung scheint sich noch uneingeschränkt an der Einhaltung der universellen Menschenrechte zu orientieren. Pia Klemp war Kapitänin bei mehreren Rettungsmissionen, die etliche Katastrophen verhindern konnten. Die Erlebnisse dieser Zeit prägen ihren nun vorliegenden zweiten Roman „Lass uns mit den Toten tanzen“: Eine Aktivistin sticht mit einer Crew aus Hippies, Punks und Weltverbesserern in See, um möglichst viele Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Sie handeln aus der Überzeugung, einer zusehends unmenschlicher werdenden Welt etwas entgegensetzen zu müssen. Nur der gemeinsame Aufstand bietet Hoffnung, den eigenen Überzeugungen gerecht zu werden, und sich nicht mit dem Leid und der Ungerechtigkeit abzufinden, sich nicht gemein zu machen mit einer Gesellschaft, die versucht, all dies Leid und all diesen Tod mental und psychologisch auf Distanz zu halten.
Als ihre Rettungseinsätze kriminalisiert werden, nimmt das abgekartete politische Spiel neue Dimensionen an. Klemps Sicht auf die Geschehnisse rückt nicht nur die Menschenrechtsverletzungen an den europäischen Grenzen auf rigorose Weise in den Fokus. Der Roman ist zugleich eine brachiale Feier des zivilen Ungehorsams, der Freundschaft, Liebe und Revolution.
Was an „Lass uns mit den Toten tanzen“ Fiktion ist und was tatsächlich erlebt, lässt Pia Klemp weitgehend offen. Die Beschlagnahmung der „Iuventa“ durch italienische Behörden, die das Schiff zuvor verwanzt und die Handygespräche der Besatzungsmitglieder aufgezeichnet haben, ist jedenfalls ebenso wahr wie die Rettungsaktion mit der Seawatch 3, bei der ein heranpreschendes Schiff der libyschen Küstenwache Panik auf dem überfüllten Schlauchboot auslöste. Von der Kapitänsbrücke aus sieht die Ich-Erzählerin, wie ein Mann ertrinkt, während andere an Deck des Küstenwachschiffs geschlagen werden. Rund vierzig Menschen werden nach Libyen verschleppt, mindestens dreißig ertrinken.
Pia Klemp (*1983) ist Schriftstellerin, Kapitänin und vernarrte Landstreicherin. Seit Jahren steht ihr Leben im Dienste des Aktivismus, zu See und an Land. An Bord von Meeresschutz-Organisationen und als Kapitänin in der zivilen Seenotrettung kämpft sie für Tier- und Menschenrechte. Sie war Teil des feministischen Kollektivs, das (mit finanzieller Unterstützung von Streetart-Künstler Banksy) das Schiff Louise Michel zur Rettung schiffbrüchiger Flüchtender im Mittelmeer klarmachte. 2017 wurde eines ihrer Schiffe – die Iuventa – beschlagnahmt. Die italienische Staatsanwaltschaft ermittelte jahrelang gegen Klemp und weitere Crewmitglieder wegen »Beihilfe zur illegalen Einwanderung«.
Klemp ist Preisträgerin des Clara-Zetkin-Frauenpreises (2019) und mit der Crew des Rettungsschiffs Iuventa Preisträgerin des Paul Grüninger Preises (2019) sowie des Amnesty International Deutschland Menschenrechtspreises (2020).
Ihre Überzeugungen, Eindrücke und Fragen bringt sie in gesellschaftskritischen Romanen auch auf das literarische Parkett.
Kulturzentrum Schlachthof Wiesbaden e.V.
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